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Dein Film gehört auf’s Festival

Mit 10 Lebensweisheiten zum erfolgreichen Kurzfilm

Von Ben Scharf
Drehbuchautor, Story Consultant und Dozent

 

Dein Film gehört auf’s Festival.

Film ist Kunst. Die Kunst des visuellen Erzählens. Zum Glück gibt es, wie in jeder anderen Kunstform auch, kein Patentrezept, das einen Erfolg garantiert und damit gleichzeitig den Film zum langweiligsten Medium aller Zeiten machen würde.

Dennoch gibt es gewisse Erfahrungswerte, die den Film deutlich aus der Masse herausstechen lassen. Diese Erfahrungswerte möchte ich dir im Folgenden näherbringen. 


Doch zuvor das Wichtigste: Was ist eigentlich Film?

Film – das sind bewegte Bilder, die durch einen zeitlichen Ablauf eine Geschichte erzählen. Das heißt, Film ist Bilder in Zeit, erzählte Zeit und Echtzeit. Du kannst ein ganzes Leben in ein paar Minuten erzählen (erzählte Zeit), oder du zeigst die Reparatur eines Rasenmähers in Echtzeit.
Warum ist das wichtig?
Weil jeder, der Filme machen will, diesen Zusammenhang kennen sollte.
Beispiel: Eine Waffe auf einem Tisch. Eine Hand mit vier Fingern, die nach der Waffe greift. Dunkelheit. Ein Schuss. Aufblende: Ein Mann mit einer Schussverletzung liegt am Boden. Die Hand mit vier Fingern wirft die Waffe in ein Blumenbeet.
Hier haben wir es mit einer Form zu tun, bei der die erzählte Zeit Echtzeit suggeriert, weil die Handlung chronologisch aufeinanderfolgt.

Durch unsere visuelle Vorstellungskraft und durch die Reihenfolge der Bilder geben wir der gesehenen Handlung einen Sinn. Wir vervollständigen sie.

Das ist Film.

Film basiert aber auch auf Erfahrung. Und diese Erfahrung möchte ich jetzt mit dir teilen.

 

 

Jetzt geht’s los: Mit 10 Lebensweisheiten zum erfolgreichen Kurzfilm

1. In der Kürze liegt die Würze.

Nicht falsch verstehen, Lang bedeutet nicht zwangsläufig geringere Chancen auf einem Festival, aber ein langer Film braucht vor allem eine starke Dramaturgie.

Die Dramaturgie muss die Länge des Filmes tragen. Die Tatsache, dass Kurzfilme auch eine Lauflänge von über 15 Minuten haben können, bedeutet nicht, dass sie diese auch zwangsläufig haben müssen. Die erste Frage sollte daher immer sein: Was will ich erzählen? Wie kann ich es am präzisesten erzählen?

Der Schnitt dient dazu, den Film auf das Wichtigste zu raffen. Inhaltlich zu verdichten.
Filmisch erzählen heißt vor allem eines: mit Auslassungen arbeiten (elliptische Erzählstruktur/geraffte Handlung).

Beispiel:
Der Zuschauer muss nicht sehen, wie eine Person den Autoschlüssel vom Schlüsselbrett nimmt, die Haustür öffnet, den Kieselweg zur Garage geht, das Garagentor öffnet, mit dem Schlüssel die Tür des Autos aufschließt, in den Wagen steigt, den Schlüssel in das Zündschloss steckt, das Auto startet und davonfährt. Es reicht zu zeigen, dass die Person den Schlüssel vom Brett nimmt und… Schnitt auf: Die Person sitzt im Auto, dreht den Schlüssel im Zündschloss um und fährt los.

Im Film solltest du nach der ständigen Verdichtung der Handlung streben. Der Schnitt ist dabei dein Freund. Auch wenn das bedeutet, dass du dich oftmals von deinen Lieblingseinstellungen, Lieblingssätzen und Lieblingsszenen trennen musst. Kill your darlings! Auch wenn es schwer fällt: der Zuschauer wird es dir danken.

2. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Sei überraschend.
Es gibt nur eine Regel: Nichts ist, wie es scheint. 

Um zu überraschen, musst du deine Idee konsequent weiterdenken.

Jeder von uns hat schon mal den Müll rausgebracht und in die Tonne geschüttet, aber was passiert danach? Müllwagen, Deponie, Recycling. Und dann als recycelte Ware wieder auf den Tisch im gleichen Haushalt? Überraschung!
Das ist eine Perspektive, die wir selten so sehen und die dadurch ungeheuer spannend wird.

Menschen lieben die Künste, da sie uns andere Perspektiven zeigen können. Genau so sollte es auch mit deiner Idee sein. Was passiert nach dem Augenscheinlichen? Was passiert hinter dem Vorhang? Alles war schon mal da, aber deine Perspektive gab es noch nie! Zeige deine Perspektive und überrasche den Zuschauer.

Die Grundlage deiner Perspektive ist dein Erfahrungshorizont. Schreibe und mache Filme über die Dinge, die dich betreffen. Über Dinge, die dich emotional bewegen. Wenn du ehrlich bist und dem Zuschauer eine Welt präsentierst, die ungewohnt ist, und ihn an deinen Emotionen teilhaben lässt, kannst du sicher sein, dass dein Film ein Publikum findet.

3. Quantität ist nicht gleich Qualität.

Vertraue deiner Idee und deiner Vision. Verfolge eine klare Linie und schütte nicht jede Menge weitere Ideen in den Topf, die die Ursprungsidee verwässern und den Film inhaltlich unklarer machen.

Wenn du Spaghetti Bolognese machst, schmeißt du nicht auch noch Hummer mit rein, oder Kartoffeln, oder Reis. Nein – du brauchst Spaghetti, Tomatensoße, Hackfleisch.

Es gibt einen Grund, warum es Rezepte gibt. Dinge, die funktioniert haben, bilden die Grundlage für weitere Betrachtungen. Das soll nicht heißen, dass du dich immer daran halten musst. Probiere ruhig mal Spaghetti mit Reis, aber eine Neuerung pro Gericht/Film reicht aus, ansonsten verliert der Zuschauer den Überblick und kommt nicht auf den Geschmack.

4. Der Ton macht die Musik. Und den Film.

Ton ist wichtig. Super wichtig!
Das Medium Film funktioniert auf vier Ebenen: Bild, Ton, Musik und Dialog. Alle sind wichtig, keine Frage, aber wenn der Zuschauer kein Wort von dem Gesprochenen versteht, fehlt eine komplette Verständnisebene.

Kameraton, vor allem mit dem internen Mikro aufgenommen, ist kaum zu gebrauchen. Lass ihn als Referenz-Ton auf jeden Fall mitlaufen, dann kannst du nachher den extern aufgezeichneten Ton besser anlegen. Aber mach dir die Mühe und nimm den Ton auf einem externen Aufnahmegerät auf.

Falls du nicht die technischen Mittel hast, mach die Not zur Tugend und sage es mit Bildern statt mit Worten (siehe 7.) 

Oft gibt es in dem Ort, wo du wohnst, ein Medienzentrum oder Offenen Kanal, bei dem du externe Aufnahmegeräte und Mikrofone günstig leihen kannst. Diese Investition lohnt sich!

5. Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.

Zu viele Ideen mit zu wenig Struktur enden oft im kreativen Chaos. Was fehlt ist die Dramaturgie, die Komposition einer Geschichte. Eine Geschichte braucht einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende – aber nicht immer in dieser Reihenfolge. Aristoteles lässt grüßen!
Lass eine dramaturgische Linie erkennen. Erst wird die Leiche gefunden, dann beginnen die Ermittlungen. Verdächtige werden verhört, Beweise gesammelt, gefunden und am Ende wird der Täter überführt.
So funktionieren Krimis, oder? Sicher, aber vielleicht komponierst du mal was anderes: Der Täter wird festgenommen. Beweise werden vorgelegt, die seine Schuld bestätigen, die Ermittlungen führen alle zu dem Täter, und am Ende ist er überführt und verrät den Ort, an dem die Leiche liegt.
Gleiche Dramaturgie, nur rückwärts erzählt. Die Dramaturgie gibt dem Erzählten ein Gerüst. Wie du das Gerüst aufbaust, ist dir und deiner Perspektive überlassen (siehe 2.).

Um der Dramaturgie Herr oder Frau zu werden, musst du dir folgende Fragen stellen: Wer ist die Hauptfigur, aus deren Blickwinkel wir die Geschichte erzählt bekommen? Will ich chronologisch zeigen, wie es zu einem Konflikt kommt, oder will ich zeigen, warum es zu dem Konflikt gekommen ist? Oder will ich die Folgen eines Konfliktes zeigen?
Anhand dieser Fragen kannst du schnell bestimmen, wo du in die Geschichte einsteigst und welche Hauptfigur dafür die Richtige ist.

6. Ehre, wem Ehre gebührt.

Beachte die Urheber- und Nutzungsrechte. Egal, ob Musik, Ton oder Bild. Falls du irgendetwas verwenden möchtest, von deiner Lieblingsmusik bis hin zu Archivmaterial, hol dir vorher die nötigen Nutzungsrechte.

Wenn du die Filme nicht kommerziell verwertest, also  meist „nur“ auf Festivals schickst, sind die Urheber oder Rechtehalter oft sehr kulant. Es lohnt sich also, die Agenturen, Musikverlage und Verlagshäuser anzuschreiben und ihnen von deinem Kurzfilmvorhaben zu erzählen. Oft lassen sie sich auf einen Deal ein.

Ansonsten findest du bei Google jede Menge Links zu Seiten, auf denen du Musik downloaden kannst, die die Komponisten für eine Nennung im Abspann zur Verfügung stellen. Google Suche: „Gemafreie Musik“

7. Man glaubt einem Auge mehr, als zwei Ohren.

Oft sagen Bilder besser und eindrucksvoller, was tausend Worte nicht vermögen. Film ist ein visuelles Medium. Wer sich berufen fühlt, lange Monologe in die Handlung zu integrieren, sollte zum Theater gehen oder einen Roman schreiben.

Bevor du eine Figur im Film erzählen lässt, wie sie sich fühlt, versuche die Emotionen mit Bildern zu erzählen. Lass die Figur nicht sagen: „Ich bin müde“, zeige die Figur, wie sie gähnt.

Der menschliche Verstand ist darauf programmiert, einer Abfolge von Bildern einen inhaltlichen Sinn zu geben. Das ist auch der Grund, warum Schnitt funktioniert. Mach dir dieses Wissen zunutze. Wenn du das Gesicht einer Person zeigst und dann umschneidest auf einen Teller mit Essen, geht der Zuschauer davon aus, dass die Person Hunger hat (Kuleschow-Effekt).

8. Ordnung ist das halbe Leben.

Ein Drehbuch, ein Drehbuch, ein Königreich für ein Drehbuch!

Ordne deine Gedanken. Es hilft, die Gedanken vor dem Dreh zu ordnen. Hier muss nicht das nächste oscarverdächtige Drehbuch geschrieben werden, es reicht, die Gedanken in Spiegelstrichen aufzuschreiben. Meist ist das Filmemachen ein Kollektiv-Unterfangen – und am Besten kannst du deine Vision vermitteln, wenn du dir selbst im Klaren über deine Idee und deine Vision bist. Diese Vision zu verschriftlichen wird dir auch helfen, deine Geschichte besser zu strukturieren. (siehe auch 5.)

Beispiel:
Anfang:
Sequenz A: Paul kommt zu spät zur Arbeit und wird gekündigt.
Szene 1: Paul wacht um 5 Uhr morgens ohne Weckerklingeln auf.
Szene 2: Paul macht sich fertig, Anziehen, Zähne putzen etc.
Szene 3: Paul versucht sein Auto zu starten. Nichts. Das Auto ist tot.
Szene 4. Als Paul sein Telefon rausholt, um den ADAC anzurufen, fällt das Telefon in den Gully.
Szene 5: Paul rennt zum Bus, der gerade losfährt. Er kriegt ihn nicht. Es fängt an zu regnen.
usw.
(…)
Mittelteil
Szene 8: Paul wird gekündigt.
Szene 9: Paul lernt eine Frau im Bus kennen. Er verliebt sich.
Ende
Szene 10: Paul hat einen neuen Job als Busfahrer. Seine neue Frau fährt als Fahrgast mit.
(…)

9. Besser einäugig als blind.

Aus wessen Augen gucken wir? Aus welcher Sicht wird die Geschichte erzählt? Wer ist der Protagonist? Konzentriere dich auf eine Erzähl-Perspektive.

Wem folgen wir durch die Geschichte? Es macht Sinn, eine klare Bezugsperson zu haben, die durch die Geschichte führt. Perspektivwechsel sind sicher interessant, bedürfen aber einer klaren dramaturgischen Einbettung in die Geschichte.  Es macht einen großen Unterschied, ob du aus der Perspektive des Kammerjägers erzählst, oder aus Sicht der Maus. Aber wenn du dann plötzlich aus der Perspektive des Haus- und Hofhundes erzählst, kann das verwirren. Wenn du sicher gehen willst, dass die Betrachter die Geschichte verstehen, wähle in einer Geschichte am besten die Perspektive, die am meisten Identifikationsfläche bietet.

Beispiel:
Ein Kammerjäger stellt eine Falle auf. Eine Maus beobachtet den Kammerjäger, wie dieser die Falle aufstellt. Der Kammerjäger macht Mittagspause und isst ein Käsebrot. Die Maus beobachtet, wie der Kammerjäger das Brot isst, dabei fällt Käse auf den Boden, und die Maus holt sich den Käse. Der Kammerjäger kontrolliert die Falle und die Maus beobachtet ihn dabei, wie er die Falle selbst auslöst.

10. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Wähle ein klares Ende, nicht viele kleine Enden.

Überlege dir, welches Thema deine Geschichte hat. Was willst du mit der Geschichte sagen?

Nur wenn du weißt, was du in der Geschichte sagen willst, kannst du ein klares Ende finden. Wichtig: Ein klares Ende ist ein befriedigendes Ende und nicht notwendigerweise ein Happy End. Ein befriedigendes Ende ist immer dann erreicht, wenn der Zuschauer das Gefühl hat, es gibt eine Form der Auflösung.
Bei einem Krimi ist es leicht: Das Ende ist meist dann, wenn der Täter überführt ist. Bei einer Liebesgeschichte ist es ebenfalls leicht, denn meist endet die Geschichte, wenn beide ein Paar sind – oder nicht…
Aber was machst du, wenn deine Geschichte eine andere ist?

Beispiel: Eine Person hat Zahnschmerzen und muss zum Zahnarzt. Sie hat höllische Angst vor dem Bohrer. Endet nun die Geschichte, wenn die Person beim Zahnarzt ist? Nicht zwangsläufig. Endet die Geschichte, wenn die Person auf dem Stuhl sitzt und den Mund öffnet? Hoffentlich nicht. Warum? Weil das zwar ein offenes Ende wäre, aber sehr, sehr unbefriedigend. Denn das Wichtigste, das wir sehen wollen, ist, wie die Person die Angst vor dem Bohren überwindet. Wenn das passiert ist, kann es auch ein offenes Ende geben. In unserem Fall könnte das also bedeuten: Die Person sitzt auf dem Zahnarztstuhl und öffnet den Mund. Wir hören den Bohrer. Er wird lauter und lauter, der Bohrer kommt näher, aber die Person verzieht nicht das Gesicht und sitzt in aller Seelenruhe da und wartet ab. Wieso? Die Auflösung zeigt: Die Person hat sich Ohrstöpsel in die Ohren gesteckt!

Damit ist erzählt, dass die Angst überwunden wurde. Jetzt ist es auch nicht mehr wichtig, ob wir sehen, wie der Zahnarzt bohrt, oder nicht, denn die Geschichte hat einen klaren Abschluss und damit ein klares Ende des Problems. Es gab sozusagen einen emotionalen Abschluss im Zusammenhang mit dem Problem. Die „Erfolgs-Formel“ ist hier denkbar einfach: Zeige wie ein Mensch ein Problem bekommt (Konflikt). Zeige wie dieser Mensch versucht, das Problem zu lösen und dabei über sich hinaus wächst (sich dem Konflikt stellt). Und belohne diesen Menschen – und den Zuschauer – damit, dass du zeigst, wie diese Person das Ziel erreicht (Konflikte löst), oder emotional über sich hinauswächst (Wandlung von ängstlich zu wagemutig).

Das waren sie also, die 10 Lebensweisheiten zum erfolgreichen Kurzfilm

Ok, alles gut und schön. Aber was ist, wenn du eine Idee hast, vielleicht auch nur Fragmente einer Idee, und du brauchst bei der filmischen Umsetzung Hilfe?

Kein Problem, denn Film ist Teamsport. Du musst nicht alleine vor dich hinarbeiten. Such dir Gleichgesinnte. Aber wo? Schau und hör dich in deiner Umgebung um. Dort gibt es bestimmt einen Offenen Kanal, ein Medienzentrum, eine Künstlergruppe, eine Universität, einen Workshop, eine Volkshochschule oder ähnliches. Oder ein Filmfestival!  Überall kannst du dir Anregungen, Motivation und einen Austausch mit Gleichgesinnten holen.

Und natürlich kann auch das Team des Deutschen Kinder - und Jugendfilmzentrums und des Generationenfilmpreises versuchen, dir weiterzuhelfen.