Interview

 

 

Yasemin Markstein & Ayla Yildiz | Medienprojekt Wuppertal

Portraits Ayla Yildiz und Yasemin Markstein
Fotos: Konstantin Koewius

In ihrem beeindruckenden Wettbewerbsbeitrag „Kalp unutmaz – Das Herz vergisst nicht“, einer Produktion des Medienprojektes Wuppertal, thematisieren die Filmemacherinnen Ayla Yildiz und Yasemin Markstein die Pflege von zwei demenziell erkrankten Türkinnen. In unterschiedlichen Stadien der Krankheit werden die beiden von ihren Töchtern, Schwiegertöchtern und Enkelinnen gepflegt. Die Belastungen und Bewältigungsstrategien greifen die Filmemacherinnen in ihrer 56-minütigen Dokumentation ebenso auf wie kulturell und geschlechtsspezifisch geprägte Haltungen – sowie eine Kritik am Gesundheitssystem.
Der Film vermittelt engagiert und mit großem Feingefühl den Umgang der Angehörigen mit der Krankheit sowie die Beziehungen zwischen den Generationen, die sich durch große emotionale Nähe auszeichnen. Das Gedächtnis lässt nach, aber das Herz vergisst nicht. Wir haben die beiden Filmemacherinnen zu ihrem Film und ihrer Arbeitsphilosophie befragt.

 

„Wir wollten den Lebensalltag der Betroffenen authentisch portraitieren“


Wie entstand die Idee zu Ihrem Film?

Ayla: Das Medienprojekt Wuppertal hatte zuvor eine Dokumentationsreihe zum Thema Demenz produziert, in der hauptsächlich deutsche Familien portraitiert wurden. Die Reihe stieß auf positive Resonanz und es wurde deutlich, dass diese Krankheit keine große Präsenz in der Gesellschaft hat und viele unwissend sind. Vor allem in der Türkei und auch anderen Ländern ist diese Unwissenheit noch größer als in Deutschland  Demenz wird oftmals nicht als Krankheit anerkannt und somit anders behandelt. 
Der Leiter des Medienprojekts, Andreas von Hören, kam dann auf die Idee, einen weiteren Film über Demenz zu machen, der einen Schwerpunkt auf türkischstämmige Familien setzt, da hier der Informationsbedarf noch größer ist - vor allem bei denen, die in Deutschland leben und keine Kenntnis über Hilfsangebote haben. Dies führt dazu, und das zeigt der Film sehr deutlich, dass ausschließlich familienintern gepflegt wird und die Angehörigen wie auch die Betroffenen versuchen, alleine mit der Krankheit zurechtzukommen eine oftmals große Belastung für alle.


Wie haben Sie Kontakt zu den beiden Familien bekommen?

Ayla: Unser Kooperationspartner war das Demenz-Servicezentrum für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt in Gelsenkirchen. Diese Einrichtung ist für ganz Nordrhein-Westfalen zuständig. Eine Mitarbeiterin, Frau Serpil-Sehray Kilic, begleitet und berät viele türkischstämmige Familien und hatte somit schon einige Kontakte zu Betroffenen und Angehörigen. Sie hat den Kontakt zu den Familien hergestellt, mit denen wir den Film gedreht haben.


Was wollten Sie mit Ihrem Film zeigen?

Yasemin: Zunächst einmal war der Anspruch, die Familien und ihren Lebensalltag authentisch, glaubwürdig und nah zu portraitieren. Die Hoffnung dabei war, anderen Betroffenen und Angehörigen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und dass es  Hilfsangebote gibt, die sie in Anspruch nehmen können.

Natürlich soll der Film ebenfalls eine Sensibilisierung für die Krankheit Demenz bewirken, nicht nur in der türkischen Gesellschaft, sondern auch in Behörden und Einrichtungen, Kranken-und Pflegekassen, bei Ärzten... Denn in türkischstämmigen Familien kommt zu den Problemen, die durch die Erkrankung entstehen, eine weitere Schwierigkeit hinzu: Aufgrund von kulturellen und sprachlichen Barrieren erreichen die Hilfsangebote genau diese Familien nicht immer – oder sie sind erst gar nicht auf sie ausgerichtet. Demnach sollte eine Umstrukturierung der Angebote, die speziell auf Familien mit Migrationsgeschichte ausgerichtet sind, stattfinden.


Die Produktion des Films wurde vom Medienprojekt Wuppertal gefördert. Wie sah die Unterstützung aus?

Andreas von Hören, der Geschäftsführer des Medienprojektes Wuppertal, hat die gesamte Vorproduktion übernommen, also Frau Serpil-Sehray Kilic kontaktiert und anschließend die Kontakte zu den Familien geknüpft, die wir dann alle zusammen kennengelernt haben. Er hat sozusagen die ersten Fäden gespannt, damit Yasemin und ich den Pulli stricken konnten. Das komplette Equipment, Kamera sowie Ton und alles was dazu gehört sprich Nadel und Faden  wurde vom Medienprojekt zur Verfügung gestellt.


Das Medienprojekt Wuppertal ist bekannt für seine Jugendvideoarbeit. Auch viele andere Medienzentren richten sich in erster Linie an Jugendliche. Können Sie sagen, warum das so ist und - nach Ihrem Film - Tipps für generationen-übergreifende Filmprojekte geben?

Ayla: Die dominierenden Themen von Jugendlichen in Kurzspielfilmen, Reportagen, Trickfilmen sind oft Liebe, Sex und Gewalt. Diese Themen spielen mit ihren lustvollen und auch problematischen Anteilen in dieser Lebensphase eine zentrale Rolle. Da diese Themen in der Gesellschaft aber oft tabuisiert sind oder eine Auseinandersetzung größtenteils nur unter moralisch und pädagogisch konformen Gesichtspunkten erfolgt, fehlt vielen Jugendlichen ein Raum, um ihre Ideen, Phantasien und Lüste offen zu äußern. Ihnen fehlt also ein Sprachrohr  und das bieten wir ihnen, wie auch andere Medienzentren. Das Medium Video eignet sich sehr gut, da sich die Jugendlichen nicht nur mit sich selbst auseinander setzen, sondern ihre Ideen auch mit anderen teilen können. Ich denke, es ist sehr wichtig, Jugendlichen diesen freien Raum zu bieten, denn nur dann können sie sich wirklich mit sich und ihren Themen auseinandersetzen, sich reflektieren und entwickeln.
Tipps für generationenübergreifende Filmprojekte zu geben finde ich schwierig, da das Interesse an der jeweils anderen Generation aus sich selbst heraus entstehen muss. Allerdings kann dieses Interesse auch aktiv geweckt werden, indem man etwa für generationsübergreifende Filmprojekte wirbt, so wie es das Medienprojekt Wuppertal tut. Generationsübergreifende Filme selbst haben das größte Potential, einen Anreiz zu geben und zu motivieren.


Wie wird Ihr Film in der Bildungsarbeit eingesetzt?

Ayla: Der Film wird in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt, etwa in Schulen und Ausbildungsstätten, in Hilfsorganisationen zur Aufklärung der Betroffenen und Angehörigen oder auch des Pflegepersonals. Viele direkte Anfragen kamen aber auch von Betroffenen und Angehörigen selbst.


Gab es bestimmte Aspekte, die Ihnen bei der Umsetzung besonders bedeutsam waren?

Yasemin: Zuerst ist natürlich der Anspruch da, den Angehörigen und Betroffenen gerecht zu werden. Die Protagonisten haben uns einen sehr tiefen und persönlichen Einblick in ihre Lebensumstände ermöglicht und als Filmemacher steht man immer in der Verantwortung, damit so sensibel und einfühlsam wie nur möglich umzugehen. Noch wichtiger wird dieser Aspekt, wenn man mit Demenzkranken arbeitet, die nicht immer artikulieren können, ob sie das Geschehende gerade wollen oder nicht  die pflegenden Töchter übernahmen hier die Rolle der Vormundschaft. Um dies moralisch vertreten zu können, war es uns sehr wichtig, dass der Film wirklich einen höheren Zweck erfüllt, also anderen Betroffenen und Angehörigen hilft.
Ein ebenfalls hoher Anspruch war es, den Film so authentisch und nah wie nur möglich zu drehen und nicht reißerisch mit den Schicksalen und Geschichten der Protagonisten umzugehen, wie das in Doku-Soaps passiert, die man im Fernsehen „bewundern“ kann. Natürlich war uns wichtig, auch die Probleme mit dieser Erkrankung für alle Betroffenen zu zeigen, aber nicht auf eine künstlich dramatisierende Weise. Nach Fertigstellung des Films sehen unsere Protagonisten ihn vor der Veröffentlichung, um uns ihre Zustimmung oder auch Kritik zu geben. So können sie sich auch in ein paar Jahren mit diesem Film wohl fühlen.


Wie war die Arbeit mit den demenzerkrankten Frauen und ihren Angehörigen für Sie? Und welche Momente sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?

Yasemin: Die Arbeit mit den Betroffenen und Angehörigen war sehr berührend und intensiv, vor allem, weil sie uns einen so tiefen Einblick in ihr Leben gewährten. Die Demenzkranke, die sich noch im Frühstadium der Krankheit befand und sich noch artikulieren konnte, musste sich allerdings erstmal an uns gewöhnen. Manchmal fand sie uns sehr angenehm und hat sich auch gerne mit uns unterhalten. Im nächsten Moment waren ihr die Dreharbeiten zu viel und wir haben sie genervt. Wir mussten also immer schauen, dass sich die Menschen wohl fühlen und wir die Dreharbeiten unterbrechen, wenn es ihnen zuviel wurde. Diese Balance zu halten ist nicht immer einfach, und eine Situation kann, gerade bei den Erkrankten, sehr schnell kippen.

Besonders in Erinnerung geblieben sind uns die Momente mit den Erkrankten selbst. Uns haben die Situationen mit der bettlägerigen Erkrankten sehr berührt, in denen sie sehr viele Emotionen gezeigt und so lebendig gewirkt hat – etwa, als die Tochter ihr türkische Lieder vorgesungen hat oder Bilder von ihrem Mann gezeigt hat. Sie konnte sich eigentlich nicht mehr artikulieren, aber die Gefühlsregungen, die in ihr stattfanden, konnten wir über die Augen wahrnehmen. Wir finden den Titel „Das Herz vergisst nicht“ daher sehr passend, weil wir dies mit den Erkrankten tatsächlich erlebt haben.


Wie hat Ihnen der Film gefallen und wie den Familien

Ayla: Dies ist natürlich eine schwierige Frage für die Filmemacher selbst, da wir sehr selbstkritisch auf den Film schauen. Wir waren und sind sehr auf das Feedback und die Resonanz des Publikums angewiesen, da für den Filmemacher erst dann überprüfbar ist, ob die Intention des Filmes tatsächlich angekommen ist und seine beabsichtigte Wirkung hat. Wir waren sehr aufgeregt und erfreut, als wir bei der Premiere feststellen konnten, dass das Publikum bewegt war – und demnach auch zufrieden. Ich kann mich erinnern, dass beide Familien bei der ersten Filmvorstellung, die nur mit den Angehörigen und den Filmemachern stattfand, sehr aufgeregt waren. Sobald der Abspann lief, konnte man in ihren feuchten Augen die mitreißende, traurige Stimmung zugleich aber auch ein erleichtertes und zufriedenes Lächeln erkennen. Beide Familien waren froh darüber, den Film gemacht zu haben. Zum einen wegen der Erfahrung, die sie dadurch sammeln konnten und zum anderen in der Hoffnung, dass der Film weiteren Personen, die ihr Schicksal teilen, helfen wird.


Welche Reaktionen gab es auf den Film?

Yasemin: Bei der Premiere gab es im Anschluss an den Film eine Publikumsdiskussion. Wir alle haben sehr positives Feedback bekommen  vor allem die Protagonisten wurden für ihren Mut, diesen Film zu machen und an die Öffentlichkeit zu treten, sehr gelobt. Das hat sie wiederum für ihren schwierigen Alltag sehr bestärkt. Es waren auch Angehörige von Demenzerkrankten im Kinosaal. Eine Frau ist aufgestanden und hat unter Tränen berichtet, dass ihre Mutter auch an Demenz erkrankt sei. Sie hat um Rat und Hilfe gebeten, und wir haben sie an einen Arzt vermittelt, der ebenfalls an der Diskussion teilnahm. Es war sehr schön zu sehen, dass der Film das Publikum berührt und bewegt hat.


Was machen Sie zur Zeit? Haben Sie Pläne für weitere Filme?

Ayla: Zur Zeit studiere ich in Bonn, arbeite aber immer weiter an neuen Projekten und eigenen Kurzfilmproduktionen. Dennoch würde ich jederzeit gerne eine Dokumentation mit dem Medienprojekt Wuppertal über ähnlich schwierige Themen machen, da viele Probleme viel zu wenig in der Gesellschaft thematisiert und in den Medien nicht immer wahrheitsgetreu und authentisch vermittelt werden.

Yasemin: Ich studiere zurzeit im 3. Semester ,,Mediale Künste“ mit dem Schwerpunkt Filmregie an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Weitere Filmprojekte sowohl Dokumentationen, als auch Kurzspielfilme  sind in Planung. Nebenbei arbeite ich noch immer beim Medienprojekt Wuppertal und habe erst vor Kurzem einen weiteren Dokumentarfilm über Demenz gedreht, der bald zu sehen sein wird.

(Das Interview führte Sarah Kuschel im Januar 2014)

 

Weitere Infos

Die Jurybegründung, ein Interview mit den Filmemacherinnen sowie einen Filmausschnitt finden Sie im Archiv unter "Kalp unutmaz – Herz vergisst nicht" – weitere Filme von sowie Informationen über die Arbeit von Ayla Yildiz Arbeit auf ihrer Homepage und Näheres zum Medienprojekt Wuppertal auf der Homepage des Projektes.

 

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