Interview

 

 

Anja Hartung

Portait Anja Hartung

Prof. Dr. Anja Hartung ist Gründungsmitglied und erste Vorsitzende des Vereins „Gesellschaft – Altern – Medien e.V.“ (GAM). Vielseitig engagiert beschäftigt sie sich als Herausgeberin der gleichnamigen Buchreihe und in ihrer derzeitigen Tätigkeit als Gastprofessorin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien mit dem Themenfeld Medien und Alter/n. Ihre wissenschaftliche Expertise brachte sie 2013 als Jurymitglied beim Deutschen Generationenfilmpreis [ehem. Video der Generationen] ebenso ein wie die medienpädagogischen Perspektive, die sie nicht zuletzt als Sprecherin der Fachgruppe Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft vertritt.

 

„Filme können Altersbilder im wahrsten Sinne in Bewegung bringen“

Warum haben Sie die Initiative „GAM Gesellschaft, Altern, Medien“ gegründet?

Dass unsere Gesellschaft immer älter wird und unsere Altersstruktur bildlich gesprochen die Form gewechselt hat, ist allgemein bekannt. Der demografische Wandel ist in Politik und Wirtschaft ein Brennpunktthema. Die Gerontologie als Wissenschaft des Alterns ist nicht nur immer bedeutsamer geworden, sondern hat sich auch enorm ausdifferenziert und spezialisiert. In medienorientierten Wissenschaften führt das Alter hingegen noch immer ein Schattendasein. Der Mediengebrauch älterer Menschen wird hier überwiegend als gesellschaftliches Problem thematisiert. Die Rede von den „Digital Natives“ und den „Digital Immigrants“ bringt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Während sich in der Kinder- und Jugendmedienforschung inzwischen eine vielschichtige Forschungslandschaft entwickeln konnte, die eine fundierte Grundlagen- und Spezialliteratur hervorgebracht hat, findet sich kaum Vergleichbares für das mittlere und höhere Lebensalter. Der Praxis fehlt damit eine wichtige Diskussions- und Handlungsgrundlage. Die Initiative „Gesellschaft, Altern, Medien“ setzt hier an. Sie möchte die Diskussion um die kulturelle, sozialpolitische und gesellschaftliche Bedeutung von Medien für Menschen im höheren Erwachsenenalter anregen und durch empirisch und theoretisch fundierte Erkenntnisse nachhaltig etablieren. GAM e.V. lädt jährlich Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen dazu ein, gemeinsam über ein aktuelles Thema im Rahmen einer Fachtagung zu diskutieren. Sie zeichnet jedes Jahr eine herausragende wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit aus, die sich mit dem Thema „Medien und Alter/n“ beschäftigt. Und seit 2012 erscheint im kopaed-Verlag München die Zeitschrift Medien & Altern als interdisziplinäre Plattform für kommunikationswissenschaftliche, literatur- und medienwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche, psychologische, soziologische sowie gerontologische Perspektiven auf das Themenfeld „Medien und Alter/n“.

 

Gibt es aus Ihrer Perspektive Veränderungen in Filmen zum Thema Alter(n)?

Medien sind gleichermaßen Spiegel und Agenten gesellschaftlicher Entwicklungen. Insofern findet der soziokulturelle Wandel des Alters natürlich auch in Filmen seinen Ausdruck. Das Thema Alter ist hier vielfältig und gewiss auch experimenteller präsent, als noch im vergangenen Jahrhundert. Alte, so könnte man sagen, treten hier zunehmend aus dem Schatten ihrer Nebenrollen heraus. Sie werden in Figurationen und Existenzformen sichtbar, die vormals der Jugend vorbehalten waren. An die Stelle des einst rigiden Identitätsschemas des alternden Menschen sind vielfältige Facetten der Selbsterkundung und Selbstverwirklichung getreten. Diese neue Positivierung des Alters hat allerdings auch eine Kehrseite. Mit der Betonung von Potenzialen und Möglichkeiten offenbart sich eine Alter(n)s-Gegenwelt, in welcher problematische Begleiterscheinungen und Phänomene des Alter(n)s häufig ausgeblendet, ja beschönigt werden. Das gilt für vor allem für Frauen, die in den Medien nicht nur deutlich unterrepräsentiert sind, sondern eine vielfache Stigmatisierung erfahren. Frauen werden schon mit dem 30. Lebensjahr mit Alterszuschreibungen konfrontiert, die sie letztlich als gesellschaftliche Wertvorstellung verinnerlichen: Alter ist ein Makel, den es möglichst zeitig zu bekämpfen gilt. Besonders anschaulich wird dies in den Anzeigen der Kosmetikindustrie, die das Leitbild jugendlicher Attraktivität unerbittlich propagieren.

 

Welchen Einfluss haben Filme aus Ihrer Sicht auf gesellschaftliche Alters-Bilder?

Medien haben einen großen Anteil an der Konstitution von Alternswirklichkeiten, insofern sie Symbole, Narrationen und Bilder zur Verfügung stellen, mit deren Hilfe sich Menschen orientieren und ihren Erfahrungen einen Sinn zuschreiben. Sie sind aber eben nicht unabhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen zu denken, sondern wechselseitig mit diesen verwoben. Filme greifen gesellschaftliche Altersbilder auf und bringen diese zur Aufführung. Sie können Altersbilder aber im wahrsten Sinne des Wortes auch in Bewegung bringen und in gesellschaftliche Diskurse hineinwirken, in dem sie mit tradierten Symbolisierungen und Deutungskonventionen spielen; die Erwartungen des Publikums unterlaufen und auf originelle und kritische aber durchaus auch humorvolle Weise irritieren. Ein Beispiel dafür ist der vieldiskutierte Film „Wolke 9“ von Andreas Dresden. Das Publikum wird hier mit einer Perspektive auf Liebe und Sexualität im Alter konfrontiert, die lange Zeit kaum denkbar war.

Altersbilder sind nicht statisch. Als soziale Konstrukte entwickeln sich diese im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Dynamiken und sind als solche stets vorläufig und beweglich. Sie differenzieren sich in einer mediatiserten Welt nicht zuletzt durch neue Erzählungen, Bilder und Symbole aus. Filme haben das Potenzial, diese Prozesse anzuregen, indem sie dazu inspirieren, die Welt aber auch sich selbst mit anderen Augen zu sehen.

 

Wo liegen für Sie die Chancen, wenn ältere Menschen selbst zur Kamera greifen?

Damit das höhere Alter nicht zu einer „spöttischen Parodie unserer früheren Existenz“ wird, so Simone de Beauvoir in ihrer Abhandlung über „Das Alter“, bedarf es Sinn verleihende Gründe, „zu sprechen und zu handeln“. Doch es bedarf auch der Möglichkeit, zu sprechen und zu handeln. Die kreative Aneignung von Medien eröffnet Möglichkeiten der Teilhabe und Mitbestimmung. Der Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit ist für viele Menschen mit einem schmerzhaften Verlust anerkannter Aufgaben, Herausforderungen und Verantwortlichkeiten verbunden: Der Rentner, die Rentnerin fühlt sich als ein Motor, der im Leerlauf zu stottern beginnt. An jenem Wendepunkt gilt es, Neuland zu betreten und neue Herausforderungen ausfindig zu machen: Der Rentner, die Rentnerin wird zum Entdecker von Betätigungsfeldern, die seinem und ihrem Leben einen neuen Sinn geben. Die filmische Arbeit eröffnet Gelegenheiten der Auseinandersetzung mit dieser neuen Lebenssituation, mit antizipierten gesellschaftlichen Erwartungen, aber auch den eigenen Ängsten. Zugleich ist die Arbeit mit der Kamera mit einer Erweiterung von Artikulationsmöglichkeiten verbunden. Ältere können eigene Ausdrucksformen entwickeln, um ihr Erleben begreiflich zu machen und ihre Ansichten zu artikulieren und sich auf diese Weise authentisch in die häufig marginalisierenden, abwertenden oder homogenisierende Alter(n)sdiskurse einschalten. Auch kann die filmische Arbeit Anlässe schaffen, sich mit anderen Perspektiven und Lebensmodellen auseinanderzusetzen. Im Bundeswettbewerb Deutscher Generationenfilmpreis hat dieser Moment der Begegnung im Format eines Festivals einen wichtigen Raum erhalten. Das Festival ist nicht nur eine Quelle der Inspiration, sondern gleichsam ein Treffpunkt, der über die filmische Auseinandersetzung mit bedeutungsoffenen und ambivalenten Lebenssituationen von Jung und Alt Erfahrungen der Teilhabe und Verständigung ermöglicht.

 

Welche Themen und Filme wären aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Aus meiner Sicht sind Filme wünschenswert, die das Altwerden in Differenz zu gesellschaftlichen Altersdiskursen und kulturellen Altersbildern erfahrbar machen. Und dies ist zunächst mit Blick auf die Vielfalt von Lebensweisen und Lebensstilen im Alter zu verstehen. Wir werden mit steigendem Lebensalter nicht immer gleicher, wie es jene viel bemühten Label der 50+ oder 60+ -Generationen suggerieren; wir werden immer ungleicher. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, die ihn prägt und unverwechselbar macht. Und dann ist das Altern doch auch eine Angelegenheit, die keine Frage eines spezifischen Lebensabschnittes ist. In postmodernen Leistungsgesellschaften ist Alter zu einer der relevantesten sozialen Ausdifferenzierungskategorien geraten. Alter ist hier letztlich ein Status, der definiert, was wir können und sollen. Aber biologisch gesehen beginnt das Altern, sobald wir geboren sind. Insofern sind auch Filme wünschenswert, die jenseits der Offerten von Kosmetik-, Pharma- und Modeindustrie zeigen, wie sich Körperlichkeit und Lebensperspektiven ein Leben lang verändern: Wie lebt es sich in dem Körper, der sich stetig verändert? Was bedeutet es, wenn die Ohren ermüden und die Welt immer leiser klingt? Was bedeutet Attraktivität, wenn diese letztlich nur als jugendliche Unversehrtheit verstanden wird? Wie nehme ich mich und die anderen in einer Gesellschaft wahr, in der Alter als Makel verstanden wird, den es schon mit jungen Jahren kosmetisch zu bekämpfen gilt. Ich meine damit also Filme, die einen differenzierteren Blick auf einen Prozess ermöglichen, der uns von Jung an begleitet.

 

Weitere Infos

Homepage der Gesellschaft für Altern und Medien e.V. (GAM)

Hinweise zur Zeitschrift Medien & Altern sowie weitere interessante Veröffentlichungen zur Thematik finden Sie in der Rubrik Publikationen.

 

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