Interview

 

 

Anja Flade-Kruse

Portait Anja Flade-Kruse

Die Beiträge von Anja Flade-Kruse funkeln durch ihre sensible Umsetzung und die offenen und eindrucksvollen Einblicke in die Geschichte ihrer Familie auch nach 10 Jahren hell im Archiv des Wettbewerbs . Nach einem Journalistik-Studium an der Uni Leipzig studierte Anja Flade-Kruse an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam. Sie war Teilnehmerin der Spielfilmgruppe an der Akademie für Kindermedien und ist heute Drehbuchautorin.

Für unser Interview erinnert sie sich an ihre Wettbewerbsfilme „Die Männer meiner Oma“ (1999) und „Bei uns“ (2002), und daran, was die Preise für sie bedeuteten und erzählt, welche Erfahrungen sie auf ihrem Berufsweg prägten.

 

"Vernetzt Euch!"

In „Die Männer meiner Oma“ setzen Sie sich eindrucksvoll mit der Lebensgeschichte und den Beziehungen ihrer Großmutter auseinander. Wie kam es, dass Sie sich für dieses Thema entschieden haben?

Eigentlich wollte ich einen Film über das Leben meiner Oma drehen. Aber als meine Schwester und ich dann anfingen zu drehen, kamen wir immer wieder auf das Männerthema. Uns beschäftigte mit Anfang bzw. Ende zwanzig eben dringend die Frage, wie wir den richtigen Mann finden können. Dass meine Oma so viele Jahre alleine war, wusste ich zwar, hatte aber nie darüber nachgedacht, wie das für meine Omi gewesen sein muss. Außerdem kamen die Fragen nach den Männern auch, weil ich genauer wissen wollte, wo unsere Wurzeln sind. Ich hatte den Vater meiner Mutter, meinen Opa, erst kennengelernt, als ich schon 10 Jahre alt war. Er hatte sich in den fünfziger Jahren für ein Leben in Westdeutschland entschieden und kam erst 1988 das erste Mal zu uns, nachdem meine Mutter Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Wohl auch, um in den Westen reisen zu können. Plötzlich stand ein Mann vor mir, dem meine Mutter ähnlich sah, aber der ansonsten fremd für mich war und blieb.  Die Jugendliebe meiner Oma, Karl-Heinz, war ein Nazi. Mit seinen blonden Haaren und blauen Augen fuhr er sogar bis nach Japan, um die - wie meine Oma sich ausdrückte – „deutsche Rasse“ zu repräsentieren. Meine Schwester und ich scherzten damals, wie hübsch wir geworden wären, wenn Karl-Heinz unser Opa geworden wäre und nicht Heinrich, der weniger attraktiv war. Darüber hat meine Oma auch herzhaft lachen können. Diese Art mit dem Leben und seinen schicksalhaften Wendungen umzugehen ist unserer Familie eigen, worüber ich sehr froh bin.

Ich habe aber noch viel mehr gedreht, als im Film zu sehen ist. Als meine Oma 2011 mit fast 90 Jahren gestorben ist, habe ich sie gemeinsam mit meiner Mutter gepflegt und wir sind uns in ihren letzten Tagen wieder sehr nah gekommen. Das war toll. Und wir haben auch da noch gelacht … Meine Mutter meinte, ich könne viele Sachen als Enkelin sagen und machen, die meine Oma von ihr als Tochter niemals  zugelassen hätte. Das Roh-Material habe ich für die Familie und Freunde kopiert. Eine tolle Erinnerung.

Immer wieder sind beim Deutschen Generationenfilmpreis [ehem. Video der Generationen] Beiträge über familiäre und bewegende Ereignisse zu sehen. Der Hintergrund Ihres Films „Bei uns“ war der Tod Ihres Vaters. Was hat die filmische Auseinandersetzung für Sie und Ihre Familie bedeutet?

Mein Vater ist im Juni 2001 völlig unerwartet gestorben. Ich hatte im Herbst 2000 mein Filmstudium in Babelsberg aufgenommen und war in diesem Sommer sehr, sehr glücklich, weil wir unseren ersten Kurzfilm im Studio drehen wollten. Außerdem war ich verliebt und hatte ein Date für den Abend. Ich weiß noch, wie wir alle zusammen die Kulissen bauten, laut Musik hörten und wahnsinnig aufgedreht waren, weil wir jetzt „richtig Filme machen können“! In diese Stimmung platzte die Nachricht vom Tod meines Vaters. Ich fuhr sofort los und war bis zum Herbst weg. Als ich zum neuen Semester wieder an die Filmhochschule kam, konnte ich nicht schreiben und wusste nicht, was ich erzählen sollte. Doch als ich dann erzählte, wie sich alles anfühlte, so surreal, und dass viele Menschen plötzlich einen Bogen um meine Familie machten, weil sie mit dem Tod nicht konfrontiert werden wollten, kamen wir gemeinsam mit Hans Hattop, dem damaligen Professor für Kamera, auf die Idee, genau das zum Thema zu machen.  Ich war auch unglaublich wütend, weil ich erlebte, wie tabuisiert der Tod in unserer Gesellschaft ist und wollte dem mit dem Film etwas entgegen setzen. Wir drehten nur zu zweit, der Kameramann Thomas Bergmann und ich. Erst im Nachhinein habe ich gedacht, wie mutig das auch von ihm war, sich in diese Privatheit mit mir zu begeben und diesen Film zu drehen.

Meine Familie – jetzt waren wir nur noch Frauen – hat sofort mitgemacht. Die Gespräche, die wir vor laufender Kamera führten, hätten wir ohne Kamera vielleicht nicht in so einer Konsequenz geführt. Ich glaube auch, dass das sehr weiblich ist, zu sprechen und sich nicht im Schmerz zu vergraben. Wir haben damals auch viel gelacht. Was sich absurd anhören mag, aber es war so. Ich habe dann noch mehrere Wochen mit dem Cutter Rudi Zieglmeier zusammen gearbeitet. Toll, dass er das gemacht hat! Er hatte etwas Ähnliches erlebt und seine Meinung war enorm wichtig für mich, da es schwierig ist zu entscheiden, was auch eine Relevanz für andere hat und was nicht, wenn man selbst Teil des Filmes ist und so nah dran. Diese Arbeit an dem Film war meine Therapie. Und ich war überglücklich, als der Film beim Bundes.Festival.Film. [damals: Bundesfestival Video] das erste Mal gezeigt wurde und danach Menschen aus dem Publikum zu uns kamen und sich bedankten, dass wir so offen gesprochen haben, weil sie Ähnliches erlebt hatten. Film kann Menschen verbinden, die sich sonst niemals getroffen hätten. Das ist toll und deswegen bedauere ich es manchmal, dass immer mehr die Unterhaltung und das Komische auch in meiner Arbeit in den Vordergrund tritt.

Hat sich durch Ihre Filme etwas zwischen den Mitgliedern Ihrer Familie verändert?

Meine Oma fand es am Anfang nicht so gut, wie der Film „Die Männer meiner Oma“ geworden ist. Sie hatte etwas Angst, glaube ich. Doch als die Menschen dann positiv darauf reagierten, war sie stolz.

„Bei uns“ war eine Momentaufnahme. Die Beziehungen innerhalb meiner Familie haben sich danach sehr verändert. Aber weniger durch den Film, als durch das Fehlen meines Papas. Er hat die Familie sehr zusammengehalten – aber das haben wir erst gemerkt, als er nicht mehr da war. Und jede von uns hat ihre eigene Art zu trauern.

Nach dem Journalistik-Studium haben Sie begonnen Film zu studieren. Welche Rolle spielte der Wettbewerb und der Preis für Ihren weiteren Werdegang?

Wenn der Wettbewerb und das positive Feedback, das mir dort entgegengebracht wurde, nicht gewesen wären, hätte ich mich nie getraut, tatsächlich eine Bewerbung loszuschicken. Ich weiß noch, dass mir Jan Schmolling damals in Kiel einen Drehbuch-Studenten vorstellte und meinte, ich solle mich doch mal mit ihm unterhalten. Da hatte ich schon eine Ablehnung der Filmhochschule für Regie bekommen. Über Drehbuch und Schreiben für den Film hatte ich als Studienrichtung vorher noch nicht nachgedacht … und genau das war mein Ding. Das KJF leistet da wirklich seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit in der Förderung von Talenten und sollte eigentlich ganz viel Geld dafür bekommen, damit sie genau das noch mehr tun können! Weil es für junge Kreative so wichtig ist sich raus zu wagen mit den eigenen Ideen, sich auszutauschen, Feedback zu bekommen. Obwohl sich das im Zeitalter von YouTube ja stark verändert hat. Dennoch gibt es noch viele Perlen, die zu schüchtern sind und die so eine Erfahrung, wie ich sie mit dem Wettbewerb machen durfte, brauchen, um sich mehr zuzutrauen. Nicht immer sind die, die am lautesten schreien, auch die Besten.

Welche Erfahrung hat Sie auf Ihrem Berufsweg besonders geprägt?

Als ich an der Filmhochschule angenommen wurde, hatte ich ein langes Gespräch mit meinem Vater. Er war der Meinung, dass ich es sehr schwer haben werde, als Anja Flade aus Kirchhasel. Er glaubte, dass viele Kinder von Filmschaffenden und Künstlern an der Filmhochschule studieren und es durch die Beziehungen ihrer Eltern leichter haben werden. Ich hatte keinerlei Beziehungen, kannte niemand Wichtigen. Damals dachte ich, das wird auch so gehen.

Inzwischen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es neben Talent und guten Ideen enorm wichtig ist, die richtigen Leute zu finden und wenn du eben schon welche kennst oder einen Förderer hast, ist es tatsächlich leichter. Du kannst nicht mit jedem alles machen. Da muss die Chemie stimmen und du musst Lust haben, so viel Lebenszeit gemeinsam in ein Filmprojekt zu stecken, dessen Vision man teilt. Das ist eine Herausforderung, die ich als Studentin enorm unterschätzt habe und weswegen ich allen rate, so früh wie möglich ein Netzwerk aufzubauen.

Was gefällt Ihnen an Ihrer derzeitigen Tätigkeit als Drehbuchautorin?

Dass ich immer arbeiten kann. Unabhängig davon, ob ein Projekt finanziert ist oder nicht, weil Schreiben im Gegensatz zum Drehen nichts kostet. Die Zusammenarbeit mit Produzenten und Redakteuren, das Ringen um eine Geschichte. Das ist manchmal zum Verrücktwerden anstrengend und mühsam, aber am Ende fühlt es sich toll an!

Wenn Sie Filmschaffenden etwas raten sollten, was wäre das?

Sich die Fähigkeit zu bewahren, auf den Bauch und seine Intuition zu hören und sich nicht zu stark von dem Angesagten oder Aktuellen beeindrucken zu lassen. Es ist der besondere, wahrhaftige Blick, der Geschichten einzigartig macht und Menschen tief berühren kann. Daran glaube ich nach wie vor.

 

Weitere Infos

Einen Ausschnitt aus dem Film "Die Männer meiner Oma" sowie die Jurybegründung zu "Bei uns" finden Sie im Archiv des Wettbewerbs.

 

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